DIE STUMME

ein Dialog

 

 

 

         

Frau:    Hast du’s gehört, Gabriel?  Sie kann wieder sprechen.

           Die Stumme kann wieder sprechen, sag ich. Nach 13 Jahren spricht sie wieder. 

           

Mann:   Isabella? Die sanfte junge Frau...

 

 

 Frau:   Sie ist reifer geworden in den Jahren des Schweigens.

           Nun versucht sie das, was unaussprechlich für sie

           war, in Worte zu fassen.

 

 

Mann:  Was hat sie nur sprachlos gemacht? All die  langen Jahre?

 

 

Frau:    Die Leute sagen, sie  hat einen Schock erlitten.       

           Es müssen böse Worte gefallen sein, Verleumdungen... 

           das hat ihr die Sprache verschlagen.

 

 

Mann:   So dass sie sich nicht wehren konnte...

 

 

Frau:    Üble Nachrede hat schon manchen kaputt gemacht.

           Verleumder sprechen eine andere Sprache. Da ist

           Unsereiner wehrlos. Das muss ich dir doch nicht

           sagen, Gabriel.

 

 

Mann:   Ja, sie sprechen weiß Gott´ eine andere Sprache,

           obwohl sie im gleichen Land aufgewachsen sind.

 

 

Frau:    Worte sind vielschichtig. Sie lassen sich deuten, so oder so. .

           Es kommt ganz darauf an, wer sie in den Mund nimmt.... 

 

 

Mann:   Ja, es ist nicht gleichgültig, wer etwas  sagt...

           Deshalb blieb ihr die Sprache weg... jetzt verstehe ich...

 

 

 Frau:    Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sagt sie. Wie gelähmt sei

              sie gewesen. 

           Wer denkt schon daran, dass Worte so zerstören können?                      

 

 

Mann:   Sie hat sich verändert, meinst du?

 

 

Frau:     Früher war ihr Reden wie das unbeschwerte Plätschern

           eines Wasserfalls.

 

 

Mann:   Ja, ich erinnere mich. Jeder freute sich, sie zu hören.

           Ihr Reden war wie das Zwitschern der Lerche am

           frühen Morgen, wie der sanfte Abendwind, der

           über die Felder streicht.....

 

 

Frau:    Nun ist sie sehr ernst und nachdenklich geworden - 

           

Mann:  Wen wundert es?

          

Frau:    Vorsichtig jedes Wort abwägend, wohl wissend,

           was unüberlegtes Reden anrichten kann: Worte können töten.

 

           Ja, die „Sprachlos Gewesene“ hat sich verändert.

           Aus dem unbeschwert dahin plätschernden Wasserfall

           ist ein bedächtig dahinfließender Fluss geworden.

                                 

Mann:   Aber nun, der Sprache wieder mächtig, kann

          sie sich verständigen, sie kann sich mitteilen und wird

          dann erfahren, dass Worte auch heilen können. 

          

 Frau:    Hoffentlich kann sie sich auch verteidigen,

             wenn es mal wieder notwendig wird.

  

Mann:  Das hoffe ich auch.

          

Frau:    Ganz sicher aber weiß sie, dass man verantwortungsvoll

         mit Worten umgehen muss.

           

Mann : Hat Isabell das nicht  schon immer getan?

         Aber für Manchen kann ihr Schicksal eine Lehre sein.

 

Frau:     Oh ja, auch mir ist dadurch bewusst geworden, Sprache

         ist ein Instrument, mit dem man Menschen verändern kann.

 

Anmerkung: Dieser Dialog ist Teil einer Veranstaltung im Goethe-Institut, die der Frage nachging: "Wozu ist Sprache gut?"

Erst in der Sprach-losigkeit ist mir bewusst geworden, wie notwendig sie ist.

 

 

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