Alles in Ordnung

 

 

Herr und Frau Rehmüller waren gerade im Begriff, das Abendessen einzunehmen, das heute aus besonderem Anlass im Salon serviert wurde. Es war äußerst selten, dass sie einmal ein paar Stunden für sich alleine genießen konnten. Kaum hatte der Justizrat den ersten Bissen der köstlichen Vorspeise gekostet, da drang aus der Wohnung unter ihnen ein schwacher, verhaltener Hilferuf. Senta Rehmüller, die anstrengende Proben zur Oper Salome hinter sich hatte, sie brillierte in der Titelrolle, blickte zu ihrem Mann hinüber, wollte sich aber im Übrigen durch keine störenden Geräusche aus der lang ersehnten Ruhe bringen lassen, als ein zweiter schriller Schrei von unten die Stille durchbrach. Kurz darauf zum dritten Mal, der Justizrat war gerade im Begriff, sich zu räuspern, wurde aber abrupt unterbrochen durch ein langgezogenes Hiiiilfe.

 

Die beiden blickten sich erschrocken an und Senta meinte: »Oskar, willst du nicht einmal nachsehen, was da unten vor sich geht?« Der so Aufgeforderte erhob sich, zupfte seine Krawatte zurecht, zögerte etwas, machte sich aber dann doch auf den Weg nach unten. Dort angekommen, drückte er auf den Klingelknopf, erst zaghaft, dann energischer. Die Türe öffnete sich und das erstaunte Gesicht des Herrn Passmeier junior erschien im Türspalt. Im Hintergrund sah man gerade den Senior aus dem Bad schlüpfen, eilig über den Gang huschen und hinter einer Tür verschwinden. Herr Rehmüller, etwas irritiert, hüstelte und fragte, ob er seine Hilfe anbieten könne? Der Junior glotzte ihn an und meinte trocken, es wäre alles in Ordnung.

 

Rehmüller, peinlich berührt, wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte, zog sich aber dann doch zurück, als der andere anbot: »Wollen Sie nachsehen, ob alles in Ordnung ist?«

 

Kopfschüttelnd stieg der Justizrat die Treppen hoch. Seine Frau wartete schon in atemloser Spannung. »Und?«, fragte sie, »was ist passiert?«, »Nichts«, sagte er, »alles in Ordnung.« »Alles in Ordnung?«, wiederholte sie fragend, „alles in Ordnung ,der Senior brauchte Hilfe im Bad“, „Oh.“

 

Das Ehepaar Rehmüller setzte das bereits begonnene Abendessen fort.

 

 

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